bamen-jin-kraft

Die acht Dynamiken des Taijiquan aus Sicht unseres Chen-Stils nach Chen Fake, Chen Zhaokui und Chen Yu und das Entwickeln innerer Kraft.

Bei der Ausübung chinesischer Kampfkunst dreht sich vieles um das Aneigenen und das Training von (Jin-)Kräften. Den Begriff des Jin gibt es auch in anderen Disziplinen, und meist bezeichnet er so etwas wie eine über lange Zeit angeeignete und perfektionierte Kraftrichtung, also auf einen Sinn und Zweck hin geschulte Kraftausübung (wie das Schlagen eines Schmiedehammers o.ä.). Auf das Taijiquan bezogen zeichnen sich diese Jin-Kräfte unter anderem durch eine ganzkörperliche, intentionale Führung über Körperachsen aus. Die Körpermethode (shenfa) treibt ausgehend vom Körperzentrum (dantian) die Kräfte an. Im Zuge der Verschriftlichung der Taiji-Theorie vornehmlich im 19. und dem frühen 20. Jahrhundert fand eine Konzentration auf acht Grundkräfte statt: Peng, Lü, Ji, An, Cai, Lie, Zhou, Kao (Erklärungen siehe unten). Chen Zhaokui erklärte dazu: "Alle Bewegungen dieses Boxens sind in unserem täglichen Leben [vorfindbare] Formen körperlicher Arbeit, man könnte sagen, es sind natürliche 'Instinkte' (oder ursprüngliche Fertigkeiten) des Menschen, und doch ergeben sie zudem auch ein System." 

Diese acht Grundkräfte finden sich praktisch übergreifend in allen Taijiquan-Stilen, wobei ihre Ausführung zum Teil recht beträchtlich variiert. Das hier Beschriebene bezieht sich also hauptsächlich auf unseren Stil. Der Leser möge entscheiden, ob er die Ideen auf den eigenen Stil übertragen oder zumindest sinnvoll als inhaltsspendenden Kontrast zum eigenen Stil nutzen kann.

In unserem Chen-Stil in der Linie von Chen Fake, Chen Zhaokui und Chen Yu sind diese acht Grundkräfte also auch vorhanden. Es gibt aber noch weitaus mehr Kräfte, die ebenfalls von zentraler Bedeutung sind und sich nur etwas holperig unter den acht subsumieren lassen. Beispiele wären das Schneiden, Bohren, Bersten, Aufhängen, Hämmern, Halten, Greifen und viele mehr. Diese beschreiben sehr konkrete Kraftveräufe, über die man auf eine lückenlose Verkettung innerer Kraftlinien oder -pfade (jinlu) hinarbeitet und ohne die unser Formtraining nicht denkbar wäre.   

Kommen wir auf die acht Grundkräfte zurück, so kann man feststellen, dass sich diese nicht unbedingt auf derselben inhaltlichen Ebene bewegen, bzw. dass ihre Umsetzung immer diverse Bedeutungsebenen beinhalten kann. Die acht Kräfte können gedeutet werden als:

   - Techniken (in der Umsetzung sehr konkret und direkt)

   - Strategien (der Kampfführung)

   - Konzepte (innerer Bewegungsführung)

Für den modernen systematisch-wissenschaftlich Denkenden ähneln diese acht Grundkräfte daher etwas einer Kraut-und-Rüben-Aufstellung. Es zeigt sich, dass sie erst in der praktischen Anwendung ihren Sinn voll entfalten, was auch auf die Grenzen dieses Artikels hindeuten soll. In unserer Praxis macht es jetzt keinen Sinn, sich die Zuordnung der Kräfte zu den xiantian- oder houtian-Trigrammen anzuschauen, über die fünf Wandlungsphasen zu sinnieren oder ähnliches. Das mag in anderen Traditionen sinnvoll sein, in unserer ist es das aber nicht. Die praktische Umsetzung dieser Bewegungsideen in der Körperarbeit ist das zielführende Element unseres Trainings.

Betrachten wir kurz die acht Grundkräfte:

 

Peng – Expansion, Abwehren

Peng ist ein taiji-typischer Begriff, der eine Grundkraft bezeichnet, die darauf abzielt, eine Ballonstruktur im Körper aufzubauen. Diese entsteht durch exzentrische Kräfte, innere Körperhaltung und äußere Körperverbindungen. Es ist die Grundkraft, ohne die Taijiquan nicht funktioniert. Sie bildet also die Basis für alle weiteren Techniken. Neben der Grundkraft Peng gibt es noch eine zweite Art Peng. Diese bezeichnet eine Aktion, die sich nach außen und/oder oben richtet. Sie funktioniert damit also eher als fernhaltende oder abwehrende Kraft.


Lü – Wegnehmen

Auch Lü ist taiji-spezifisch und findet sich normalerweise nicht in chinesischen Wörterbüchern. Lü bezeichnet eine vom eigenen Zentrum wegführende Bewegung, meist zur Seite hin. Bei Lü ist es falsch, wenn man es zu passiv ausführt und damit die eigene Expansionskraft in Gefahr bringt. Lü beruht darauf, dem Gegner einen substanziellen Punkt vorzutäuschen, hinter dem aber keine Substanz (also der eigene Schwerpunkt) zu finden ist, sondern nur ein leerer Punkt. Das „die gegnerische Kraft hereinleiten und ins Leere führen“ des Taijiquan beruht maßgeblich auf Lü.


Ji – Pressen

Ji ist eine pressende Anwendungskraft. Sie ist quasi bei jedem Richtungswechsel notwendig. Sie dient dazu, die Expansionskraft des Gegners zu zerstören und ist meist diagonal 45 Grad auf das Zentrum des Gegners gerichtet. Das „1000 Pfund mit der Kraft von 4 Unzen bewegen“ des Taijiquan basiert neben Lü auch auf Ji.


An – Drücken

Diese Kraft ist immer nach unten gerichtet und kann eine längere Kraft im Sinne eines Zustoßens oder eine kürzere eher im Sinne eines Zudrückens darstellen.


Cai – Pflücken

Cai richtet sich nach unten vom eigenen Körperzentrum weg, es kann damit als eine Unterkategorie von Lü betrachtet werden.


Lie – Trennen

Hier sprechen wir von der Idee, die gegnerische Kraft aufzutrennen und in zwei unterschiedliche Richtungen zu lenken. Lie kann sich dabei aus anderen Kräften zusammensetzen. Man kann also beispielsweise einen Faustschlag mit einer Hand nach unten pflücken und den Gegner dabei mit der anderen Hand entgegengesetzt pressen, um Körper und Faust voneinander zu trennen. In diesem Beispiel basiert Lie dann eben auf Cai und Ji. Etliche weitere Beispiele sind denkbar.

 

Zhou – Ellbogen

Zhou bezeichnet diverse Ellbogenstöße (pressend, durchbohrend, stoßend etc.) und drückt damit eben auch eine Kampfdistanz aus, in der die Ellbogen zum Einsatz kommen können. Zudem kann man mit Zhou eine gegnerische Kraft, die eher zur Hand oder Schulter gerichtet ist, wechseln, um hinter den gegnerischen Kraftpunkt zu gelangen (z.B. um über die gegnerische Verteidigung zu rollen).

 

Kao – Schulterstoß

Kao beschreibt unterschiedliche Schulterstöße (xiongbu - vorne mit der Brust, jianbu - seitlich mit der Schulter, beibu - hinten mit dem Rücken), aber ähnlich wie Zhou auch eine Kampfdistanz. Zudem kann die Schultertechnik natürlich genutzt werden, um eine gegnerische Kraft Richtung Ellbogen ins Leere laufen zu lassen.

 

Wir belassen es zunächst bei dieser kurzen Erklärung der Grundkräfte. Wie bereits erwähnt reichen diese acht Kräfte eigentlich nicht aus. Viele weitere Kräfte ergänzen diese, reichern das Formtraining an und sorgen so erst für das Erreichen einer tiefgründigen und praxisorientierten Fertigkeit.

 

Video zu einer Taijiquan-Anwendung:

 

Video zur Körpermechanik hinter den acht Kräften:

Leseempfehlungen:

Chen Zhaokui (2011). Chenshi taijiquan fa zong ge. In: Chen Yu. Taiji Rensheng. Mingjia Shuhua Chubanshe, S. 51f.

Chen Zhaokui (2013). Taiji bafa ge. In: Chen Yu. Jiachuan chenshi taijiquan gongfu jia, S. 200 ff.

Spivack, M. (2002). 8 energies (ba jin) of Taijiquan. [online]. Erhältlich unter: taijigongfu.com 

 

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