Kann man durch Taiji (Taichi) Faszien trainieren?
Von Peter Eggen
Zuerst einmal die Antwort in Kurzform vorweg: Ja!
Faszien sind ein dreidimensionales Netz aus kollagenen Fasern, die im Körper über lange Strecken hinweg unterschiedliche Gewebe miteinander verbinden (z.B. durch die rückwärtige Faszie, die von den Fußsohlen bis zum Schädel zieht) – oder besser noch alle Strukturen und Gewebe des Körpers miteinander verbinden.
Der Taiji-Klassiker "Zehn Kernaussagen zum Taijiquan" von Chen Chanxging weist bereits auf ein enormes Verständnis der funktionellen Anatomie sowie der funktionellen Bewegungslehre hin.
Dies unter anderem an folgendem Textauszug deutlich: "...,wenn sich ein Teil [des Körpers] bewegt, gibt es nichts, dass sich nicht bewegt, wenn sich eins verbindet, gibt es kein Teil, dass sich nicht verbindet, die fünf Organe und die hundert Knochen [poetische Ausdrucksweise des Verfassers] sind alle eingeschlossen."
Diese geforderte Qualität der Feinkoordination sämtlicher Gewebe miteinander legt in der Umkehr den Schluss nahe, dass durch das Training der Verbindung eben auch die dabei angesprochenen Gewebe trainiert werden, insbesondere die Faszien.
Im Chen-Stil-Taijiquan nach Chen Yu und Chen Zhaokui wird als eine Grundfertigkeit der Bewegungen die sogenannte "Peng-Energie" oder auch Expansionskraft gefordert. Diese Bewegungsqualität zeichnet sich durch das Bestreben aus sich im dreidimensionalen Raum auszubreiten. Das geschieht durch den Aufbau von widerstrebenden Kräften, die die Weichteilstrukturen wie Muskeln, Sehnen, Bändern, Nerven, innere Organe sowie weitere Gewebe und eben auch die Faszien auf Zugspannung bringen. Gleichzeitig werden die Knochen und Gelenke auf Biege- bzw. Druckspannung gebracht. In den Bewegungen äußert sich das zum einen in einem zeitlich aufeinanderfolgenden Wechsel von Kräften wie z.B. steigen und sinken, öffnen und schließen etc. aber auch durch Gleichzeitigkeit der wiederstrebenden Kräfte – steigen während des Sinkens und umgekehrt, öffnen während des Schließens etc. Hinzu kommt die Idee des "inneren Öffnens" durch die Aktivierung des parasympathischen Nervensystems – quasi der Entspannung in der Aktivität.
Somit stellt Taijiquan eine sehr wirksame Methode dar, unter anderem Faszien aktiv zu trainieren, zu dehnen und somit deren Gleitfähigkeit gegeneinander und ihre Trophik sowie allgemeine Funktionsfähigkeit zu verbessern. Eine Verbesserung der myofaszialen Leistungsfähigkeit äußert sich z.B. durch eine Kraftverbesserung bei gleichzeitiger Entspannungsfähigkeit.
Gleichzeitig wächst allerdings etwas weitaus Umfassenderes als das eben Beschriebene – neben den Körperstrukturen wird auch die Aufmerksamkeit "geweitet und gestärkt", so dass sie den gesamten Körper als Ganzes zu begreifen und sinnvoll wie kraftvoll einzusetzen lernt.
Um nochmal zur Einstiegsfrage zurückzukehren: Ja, das Taijiquan stellt eine hocheffiziente Methode zum Training von Faszienstrukturen dar.