Beschreibungen der ersten und zweiten Form von Chen Yu. Übersetzung aus dem Chinesischen durch das CTND.
Chen-Stil Taijiquan ist in zwei unterschiedliche Formen unterteilt: eine erste Form mit 83 Bewegungen und eine zweite Form mit 72 Bewegungen, die auch Kanonenfaust genannt wird. Insgesamt kann man sagen, dass die erste Form weicher und weniger hart ist. Es gibt relativ viele (Hand-)techniken und verglichen mit der Laojia weist sie 11 Bewegungen mehr auf, so dass es bei uns 83 Stellungen sind. Zum Beispiel: die mittlere Ebene (zhongpan), Rückwärtsschritt und mit dem Ellbogen nach unten drücken (tuibu ya zhou), die die Blume auf dem Meeresboden drehen (haidi fan hua), das erste Aufnehmen (chu shou), drei Mal die Hände wechseln (san huan zhang) usw. Die zweite Form Kanonenfaust hingegen enthält mehr Hartes denn Weiches.
Die äußere Form der beiden Boxrahmen ist sehr ausgefeilt und kompakt. Im Weichen befindet sich stets auch Hartes und das Öffnen und Schließen ist sehr fein entwickelt. Im Hinblick auf die innere Kraft sollte man vor allem auf inneren Drehungen des Körperzentrums (dantian) achten, dessen Ausdruck im Äußeren als das "Falten von Brust und Taille" bezeichnet wird. Man sollte besonderes Augenmerk auf das spiralige Seidenspulen der Bewegungen legen: leicht und schnell, gesunken und stabil. Die gesamte Formstruktur ist sehr dicht, der Ausdruck majestätisch, der Rhythmus klar, [im Anschein] ruhig wie eine Maid, aber ausspeiend wie ein Donnerschlag. Das Falten vor und zurück gleicht einer rollenden Welle, geschmeidig und ohne Trägheit.
I. Merkmale unserer familienüberlieferten 83er Form:
1. [Es gibt] klare seidenspulende Kraft, [aber] die Anforderungen müssen gewissenhaft eingehalten werden. Der Bewegungsursprung liegt im Lendenwirbelbereich, die Aufmerksamkeit drängt die Kraft (jin) bis in die vier Extremitäten hinein (also die beiden Hände und Fußspitzen), die Bewegungen nehmen [die Form einer] bogenförmigen Spirale ein, die Drehungen sind stetig kreisend und man erreicht [die Maßgabe]: "wenn sich ein Teil bewegt, bewegt sich das gesamte Innere und Äußere".
2. Hart und weich helfen sich gegenseitig, im Weichen ist auch Hartes. Dieses erlaubt, auf eine Art zu schlagen, die hart ausschaut, aber nicht hart ist, die weich ausschaut, aber nicht weich ist. Vielmehr ist es eine innere Kraft, die gesunken und schwer und doch flexibel und leicht ist.
3. Bewegungen und der Atem verbinden sich zum Bewegen der Energie (qi), nicht nur um das "Energie sinkt ins Dantian" zu erreichen, sondern auch, um beim Üben der Bewegungen gleichzeitig das "innere Kreisen des Dantian" zu fördern.
4. Schnell und langsam wechseln sich ab, bei einer Bewegungsänderung wird es schnell, während man normalerweise während der Boxform eher langsam ist.
5. Der Rahmen der Form kann in drei Arten unterschieden werden: hoch, mittel und tief. Wenn man schwach oder krank ist, kann man hoch trainieren, wenn man robust und jung ist und der Körper gesund, kann man tief trainieren.
6. Im Boxen gibt es Säulen, in den Säulen gibt es das Boxen, Säulen und Boxen werden eins.
7. Jede Bewegung einer Stellung hat ganz spezifische Kampfbedeutungen. Die Kampfanwendungen der Stellungen stellen eine fein ausgeklügelte Kette [von Techniken] dar.
8. Das Falten von Brust und Taille muss mit der Körpermethode (shenfa) verbunden werden.
9. Die Bewegungen der Form sind komplex, die Handtechniken fein, [die Form besitzt] viele klare Kräfte, kleine Kräfte, versteckte Kräfte. Die Inhalte sind reich und vielfältig und von großer Tiefe. Man könnte sagen "unter einer Schicht ist immer noch eine tiefere Schicht, Schicht für Schicht sind die Bedeutungen unendlich und unerschöpflich".
10. In der gesamten Form sind Yin und Yang ausgeglichen, Yin und Yang helfen einander, Yin und Yang sind sich gegenseitig Wurzel. Im Yin gibt es Yang, im Yang gibt es Yin, Yin und Yang sind sowohl gegensätzlich als auch vereint, gleichzeitig sind sie nicht geteilt, es gleicht einem chaotischen Zustand.
11. Das Dantian dreht sich im Inneren, der Körper führt die Hand, alle Teile sind wie von einer Kette miteinander verbunden. Der untere Teil ist gesunken und stabil wie ein Fels, der mittelere Teil ist lebendig wie eine Kette, der obere Teil ist leicht wie eine Weide.
12. Die ganze Boxform beinhaltet den Wandel des Knochens, das Öffnen der Gelenke, und Übungsmethoden zum Wandel der Sehnen.
13. Werfen und schlagen, Hebeltechniken, Sehnen ergreifen und Venen halten, Knochen verbiegen, Akupunkturpunkte drücken - gleichzeitig muss man all diese unterschiedlichen Anwendungsmethoden kombinieren, so dass man einem Gegner nicht erlaubt, dem viel entgegen zu setzen.
14. Die Kräfte zu unterscheiden ist kompliziert, die Handpositionen sind komplex, wenn man ungefähr beide Formen zusammenzählt, gibt es mehr als 140 unterschiedliche Kräfte, und genauso viele Fajin. Gemäß der Kampfkunstgemeinschaft weisen die von Chen Fake in Peking unterrichten Formen 154 Einzelstellungen auf, mehr als 600 Positionen und mehr als 3000 Fajin, man nennt dies "die tausend Arme von Guanyin", denn es gibt keinen Ort, der sich nicht korrekt mitbewegt, und es gibt keinen Ort, der keine Hände hat.
15. Hart und weich helfen einander, schnell und langsam wechseln sich ab. Man weicht schnell aus und vibriert elastisch [bei der explosiven Anwendung].
16. Die Boxform ist recht gleichbleibend [auf einer Höhe]. Die Beine sind von Anfang bis Ende leicht gebeugt, nicht gerade und steif und [die Beine] leer. Die Boxform darf nicht plötzlich hoch und dann plötzlich tief sein.
17. Sie fördert Sanda und echte Kampffertigkeit.
18. In der Boxform muss man darauf achten, dass man innen öffnet und außen (wie ein Paket) bindet, man muss alle acht Richtungen unterstützen.
II. Merkmale unserer familienüberlieferten zweiten Form 'Kanonenfaust':
1. Die Boxmethode in der ersten und zweiten Form unterscheiden sich in Weichheit und Härte, es gibt [in der zweiten Form] eher Hartes als Weiches. Sechs Teile hart, vier Teile weich, man imitiert eher den echten Kampf als Trainingsmethode und betont damit das Kriegerische.
2. Es gibt mehr Stampfer und Explosiv-Bewegungen. Das "Rausgehen, federn, springen, [wieder] ausweichen, ausbreiten, aufsteigen und sich fortbewegen" ist häufiger und ihr Ausdruck majestätisch. Man muss die Form laufen, wie wenn ein wilder Tiger ein Schaaf anfällt. Das Vorwärtsschreiten gleicht einem alles hinwegfegenden Wind.
4. Charakteristisch sind das Werfen, Schlagen, Treten, Nehmen, Pflücken, Spalten, die Ellbogen- und Schulterstöße. Die Hebel- und Handtechniken sind sehr fein ausgearbeitet. Es gibt sehr unterschiedliche hebelnde Handmethoden und Hebel-Positionen. Alle Arten von Kampfmethoden müssen miteinander verbunden werden.
5. Die kurzen Kräfte, wenn man direkt am Körper [des Gegners] klebt, und die 2-cm-Kräfte sind recht häufig, kontinuierlich kann man Explosivkraft aussenden. Das Ausstoßen der Kraft ist schnell und gewalttätig und doch gesunken und stabil. Himmelsstürmend erscheint [ein Ausdruck von] Tapferkeit während der gesamten Form. Die Stellungen sind nicht abzuwehren, plötzlich ist man oben, plötzlich unten, plötlich links und plötzlich rechts, plötzlich weich und plötzlich hart, plötzlich vorne, plötzlich hinten, der Kraftausstoß ist schnell wie der Blitz, der Körper des Übenden ist vollkommen rund, locker, lebendig, elastisch und vibrierend.
Wenn man das Taijiquan entwickeln möchte, muss man gewiss die Tradition weiterführen, aber man muss eben auch eigene Ideen einfließen lassen und hervorbringen. Das Attackieren und Verteidigen im Taijiquan, das Wechseln und Schlagen, das Hereinführen und Vorwärtsschreiten befinden sich immer innerhalb der Bewegung in einer Spirale. Daher kann man das Wechseln mit dem Schlagen kombinieren, im Wechseln gibt es auch Schlagen, im Schlagen gibt es auch einen Wechsel, im Attackieren gibt es Verteidigung und in der Verteidigung einen Angriff, man vereint den Gegensatz, Yin und Yang bedingen einander. In der Fertigkeit des Taijiquan gibt es zudem das Mitgehen und das Borgen von Kraft. Um eine Dynamik zu erzeugen, die das Borgen von Kraft erlaubt, beginnt man von der Gegenseite, die Kraft wandert über die drei Gelenke, der Schlag geht ins Leere oder man kann einen eigenen Schlag zurückzirkeln. So verhält es sich besonders beim mitläufigen und gegenläufigen Seidenwickeln, die attackierende Spirale ist locker, lebendig, elastisch und vibrierend und sollte eine einzigartige Charakteristik unserer Kampfmethode darstellen.
Übersetzung © CTND
Übersetzt aus: Chen Yu, »Taiji Rensheng«, Mingjia Shuhua Chubanshe (2011), S. 12f.