Chen Changxing (1771-1853) wird innerhalb des Chen-Klans als Autor dieses Textes angegeben. Der Text beinhaltet zehn Basiskonzepte mit kurzen Ausführungen. Übersetzung aus dem Chinesischen durch das CTND.
Zehn Kernaussagen zum Taijiquan
1. Gesetz
Ohne Zerstreuung gibt es kein Zusammenkommen, ohne Trennung keine Vereinigung. Überall zwischen Himmel und Erde haben die einzelnen Teile ihre Entsprechungen. Es gibt eine Vielzahl von Dingen, aber all das Chaos hat seinen Ursprung. Aus einer Wurzel kommen alle zehntausend Dinge hervor und die zehntausend Dinge kehren alle zu der einen Wurzel zurück. Wenn man das Boxen lernt, sind die Regeln nicht anders. In den zahllosen Wechseln im Taijiquan geht es eigentlich nur um Kraft (劲 jin). Obwohl die ganzen Dynamiken (势 shi) alle unterschiedlich sind, kehrt die Kraft doch zur Eins zurück. Diese sogenannte "Eins" bezieht sich in Wirklichkeit auf [den ganzen Bereich von] Kopf-Scheitel bis Fuß, innen sind die Organe und die Sehnen und Knochen und außen sind Muskeln, Fleisch und Haut. Die vier Gliedmaßen arbeiten zusammen und die hundert Knochen wirken wie eine Einheit. Zerbrechen öffnet sie nicht [also diese Einheit, Anm. d. Ü.], Schläge zerteilen sie nicht. Wenn sie sich oben bewegt, dann folgt der Unterteil auf natürliche Weise, wenn das Unterteil sich bewegen möchte, dann führt das Oberteil. Wenn sich Ober- und Unterteil bewegen, dann fügt sich die Mitte. Der mittlere Teil bewegt sich und Unterteil und Oberteil verbinden sich und machen mit. Innen und Außen sind verbunden. Vorne und Hinten benötigen einander. Die sogenannte "Eins" bedeutet, dass man wie aufeinandergereiht [von einem Faden durchzogen, 贯 guan] ist, so wird es gesagt. Dieses sollte ohne Mühe geschehen, folge einfach, wie es ist. Wenn du dich bewegst, dann stürme vorwärts wie Drache oder Tiger und sei ungestüm wie der Blitz. Bei Stille, Ruhe und Gelassenheit verweile an einem Ort [in einer Position] und sei standhaft wie ein hoher Berg. So still, dass kein Teil nicht still ist. Innen und außen sowie unten wie oben sind ohne auch nur den leisesten Hauch sorgenvoller Gedanken. Wenn du dich bewegst, gibt es keinen Teil, der sich nicht bewegt. Vorne und hinten sowie links und rechts zögern allesamt nicht, der Bewegung präzise zu folgen, ganz wie Wasser, das herunterfließt, so reichlich, dass man sich nicht erwehren kann. Wie eine Kanone (火机), die von innen attackiert, wenn sie schießt, ist zu spät, sich die Ohren zu bedecken. Es bleibt keine Zeit, zu überlegen oder zu diskutieren, es ist wahrlich unerwartet und bereits, wie es ist. Kraft (劲) wird jeden Tag gespeichert, um sie zu nutzen, und wenn du die Fertigkeit (功) über eine lange Zeit übst, wirst du Erfolg haben (vollenden). Um Verständnis zu erlangen, musst du viel studieren und dir Wissen erarbeiten, und wenn du seine Natur erkannt hast, kannst du das Prinzip meistern. Es gibt keine schwierigen oder einfachen Dinge, und Fertigkeit kommt von selbst, wenn man [in eine Sache] hineingeht, sie kommt nicht übereilt, sondern, indem man Schritt für Schritt macht und Fortschritte macht, dann sind die hundert Knochen, die Sehnen und die Gelenke alle wie von einem Faden durchzogen aufeinandergereiht (贯通), unten und oben sowie innen und außen vernetzen sich ohne Schwierigkeit. Die zerstreuten Dinge kommen wieder zusammen, die getrennten Dinge vereinigen sich, die vier Gliedmaßen und die hundert Knochen werden schlussendlich eine Energie (气).
2. Energie
Zwischen Himmel und Erde gibt es nichts, das geht und nie wiederkehrt; es gibt nichts, das immer gerade ist und sich nicht nicht auch beugt; alles hat auch sein Gegenstück, und die Dynamiken/Stellungen (势) gehen hin und kommen zurück. Von damals bis heute bleibt dieses Gesetz unverändert, und folglich gilt es auch für die Theorie des „Boxens“ (捶), die sich gleichzeitig mit der Theorie der Energie (气) befasst. Wir [sprechen] hauptsächlich von der Eins [dem einen Qi, Anm. d. Ü.], doch wie wird sie in die Zwei geteilt? Es wird Zwei genannt, nämlich Aus- und Einatmen und das Aus- und Einatmen entspricht dem Yin und Yang, und das Boxen kann nicht ohne Bewegung und Ruhe sein, und die Energie kann nicht ohne Aus- und Einatmen sein, das Ausatmen folgt dem Yang, das Einatmen folgt dem Yin, sich zu erheben (上升) ist Yang, herunterzukommen (下降) ist Yin, wenn Yangqi aufsteigt ist das auch Yang, wenn Yangqi sich senkt, ist das auch Yin. Wenn Yingqi steigt, wird das als Yang bezeichnet, wenn Yingi sinkt, dann ist es noch immer Yin. So wird in Ying und Yang unterteilt. Was ist die Bedeutung von klar (清) und trübe (浊)? Wenn etwas nach oben steigt, ist es klar. Wenn etwas sinkt, ist es trübe. Klar ist Yang und trübe ist Yin. Daher ist eine Unterteilung dieser Art YinYang. Wenn man es als Ganzes betrachtet, ist es Energie (气). Energie kann nicht ohne YinYang sein und somit kann der Mensch nicht ohne Bewegung und Ruhe sein. Die Nase kann nicht ohne Aus- und Einatmen sein und der Mund nicht ohne herein und heraus. Dieses ist das, was wir die Theorie des Gegenteils nennen. Daher teilt sich die Energie in die Zwei und das (wie von einem Faden durchzogene) Aufeinanderreihen (贯) ist die Eins. Wer die Absicht hat, diesen Weg zu beschreiten, sollte darauf ohne Starrheit achten.
3. Die drei Sektionen
Die Energie ist eigentlich die Basis aller Körperteile und all die Körperteile sind sehr zahlreich. Wenn man also die einzelnen Teile nacheinander besprechen möchte, dann entfernt man sich vom Ziel der Boxkunst. Man sollte [stattdessen] einfach in drei Sektionen teilen und diese Teilung sollte so vorgenommen werden: die drei Sektionen sind Oben, Mitte und Unten, oder auch die Wurzel, die Mitte und der Astzipfel (die Astspitze). Wenn man nun über den ganzen Körper spricht, dann ist der Kopf die obere Sektion, die Brust die mittlere und die Beine sind die untere. Wenn man über den Kopf spricht, ist die Stirn die obere, die Nase die mittlere, und der Mund die untere Sektion. Wenn man über die Körpermitte spricht, dann ist die Brust die obere, der Bauch die mittlere und das Zinnoberfeld (dantian) die untere. Wenn man über die Beine spricht, ist der Oberschenkel die Wurzel, das Knie die Mitte und der Fuß der Zipfel. Wenn man über den Arm spricht, ist der Oberarm die Wurzel, der Ellbogen die Mitte und die Hand der Zipfel. Wenn man von der Hand spricht, so ist das Handgelenk die Wurzel, die Handfläche die Mitte und die Finger sind die Zipfel. Diese Betrachtung sollte nun ausreichen und wir müssen nicht weiter über den Fuß sprechen. So ist es also von Kopfspitze bis Fuß, dass alle Orte drei Sektionen aufweisen. Kurz gesagt gibt es nichts ohne diese drei Sektionen und jede Sektion hat seine eigene Bedeutung. Ist das obere Glied unklar, so hat es keine/n Absicht/Zweck, ist das mittlere Glied unklar, so ist der innere Körper leer, ist das untere Glied unklar, findet ein Umsturz statt. Wie könnte man daher die drei Sektionen vernachlässigen? Was den Start der Energie angeht, so muss man von dem Glied des Zipfels aus beginnen, das Glied der Mitte folgt und das Glied der Wurzel drängt (催). So ist es, wenn man unterteilt, wenn man [hingegen] die Verbindung [das Ganze] betrachtet, von Kopfscheitel bis Fuß, die vier Gliedmaßen und die hundert Knochen, dann sie sind alle wie eine einzige Sektion. Was soll man dann also über die drei Sektionen reden. Und was soll man dann noch darüber reden, dass jede Sektion sich wieder in drei Sektionen teilt.
4. Die vier Enden (Astspitzen)
Nachdem wir über den Körper gesprochen haben, gehen wir weiter und besprechen die vier Astspitzen. Diese vier Astspitzen sind wie ein Überbleibsel des Körpers. Spricht man über den Körper, redet man zunächst nicht darüber, und wird über Energie (气) gesprochen, hört man auch kaum davon. Doch nutzt man das Boxen (捶), folgt man von innen und sendet nach außen aus, die Energie kommt aus dem Körper und sendet in die Enden aus. Im Gebrauch ist die Energie so, dass sie ohne Körper leer (虚) ist und nicht substanziell (实). Wenn sie nicht durch die Enden geht, dann ist sie substanziell und doch leer. Wie könnte man da nicht über die Enden reden! Es scheint, als ob Finger und Füße gemeint wären mit den Enden! Aber die haben nichts mit den Enden der Enden zu tun. Doch was sind die vier Enden? Das Haar ist ist eins davon. Doch was das Haar angeht, gehört es nicht zu den Fünf Elementen und ist auch keines der vier Gliedmaßen und scheint nicht der Rede wert zu sein. Aber das Haar ist das Ende des Blutes (血) und das Blut [wiederum] ist der Ozean der Energie. Und selbst wenn es nicht um das Haar geht, sondern man über die Energie redet, dann kann man es nicht auslassen, denn aus dem Blut entsteht die Energie. Und man kann auch nicht das Blut auslassen und auch nicht das Haar. Wenn das Haar sich aufstellt, ist das Blutende ausreichend. Die Zunge ist das Ende der Muskeln (肉), und die Muskeln sind das Hohlorgan [bzw. der Container] der Energie. Wenn die Energie nicht in die Muskelenden hervordringen kann, dann ist das Maß an Energie nicht ausreichend. Wenn die Zunge auf die Zähne drängt, sind die Muskelenden ausreichend. Die Knochenenden sind die Zähne, die Sehnenenden (筋之梢) die Fingernägel. Die Energie kommt aus den Knochen und vereinigt sich mit den Sehnen. Wenn die Zähne nicht erreicht werden, werden auch die Knochenenden nicht erreicht, wenn die Fingernägel nicht erreicht werden, werden auch die Sehnenenden nicht erreicht. Wenn es ausreichend sein soll, müssen die Zähne sich fast von den Sehnen trennen und die Fingernägel die Knochen durchdringen. Wenn man es so macht, dann sind die vier Enden ausreichend. Wenn die vier Enden ausreichend sind, dann ist auch die Energie genug und es gibt keine Probleme mit Leere ohne Substanz oder Substanz und doch eigentlich leer.
5. Die fünf Organe
Wenn es um das Boxen geht, wird über die Dynamiken (势 shi) gesprochen, wenn es um die Dynamiken geht, wird über die Energie (气) gesprochen. Der Mensch nimmt durch die fünf Organe Gestalt an und diese fünf Organe bringen die Energie hervor. Deshalb sind die fünf Organe die Lebensquelle, die Wurzel der lebendigen Energie, und sie werden Herz, Leber, Milz, Lunge und Niere genannt. Das Herz zählt zum Element Feuer und daher weist es die Erscheinung von Hitze auf. Die Leber zählt zum Element Holz, daher weist sie eine gebogene oder gerade Form auf. Die Milz zählt zum Element Erde, daher enthält sie eine aufrichtige Stärke. Die Lunge zählt zum Element Metall, daher hat sie die Funktion der Extraktion. Die Niere zählt zum Element Wasser, daher verrichtet sie Funktion des Befeuchtens. Das ist also der Sinn der fünf Organe, die sich nach der Energie richten und miteinander kooperieren. Diejenigen, die Kampfkünste ausüben, dürfen diese nicht ignorieren. Im Inneren, im Brustbereich, befinden sich die Lungen. Die Lunge ist wiederum der Baldachin der fünf Organe. Wenn daher die Lungen arbeiten, arbeiten auch alle anderen Organe mit.
Zwischen den beiden Brüsten liegt das Herz und die Lunge umschirmt es. Unter der Lunge und über dem Zwerchfell befindet sich das Herz. Das Herz ist der Herrscher. Wenn sich das Feuer des Herzens bewegt, folgt sogleich das Feuer aller anderen mit. Unterhalb der Seitenrippen befindet sich auf der rechten Seite die Leber, auf der linken Seite die Milz. Hinter dem 14. Wirbel befindet sich die Niere. Die Taille ist der Ort der beiden Nieren. Sie sind vorgeburtlich die allererste Grundlage [des Menschen] und der Ursprung aller Organe. Wenn die Nieren reichlich gefüllt sind, haben Metall, Holz, Wasser, Feuer und Erde alle Lebenskraft.
So erklärt man also die Positionen der fünf Organe. Obwohl die fünf Organe jeweils eine bestimmt Position im Inneren haben, bezieht sich ihre Funktionsweise doch auf den gesamten Körper. Da es zu viele Positionen gibt, können sie nicht alle erläutert werden. Man kann von dem Körpersystem in etwa sagen, dass das Zentrum eine starke Verbindung zum Herz hat und die Höhlung eine starke Verbindung zur Lunge. Wo sich die Knochen zeigen, das zählt man zu den Nieren. Wo sich Sehnen verbinden, das zählt man zur Leber. Wo sich das Fleisch anhäuft, das zählt man zur Milz.
Wenn wir über ihren Sinn nachdenken, dann entspricht das Herz einem wilden Tiger und die Leber einem Pfeil. Die Kraft der Milz ist groß und endlos. Die Lungen sind am agilsten und die Nierenenergie bewegt sich rasch wie der Wind. Die Eigenschaften der einzelnen Organfunktion muss man am eigenen Leib erfahren, denn Worte allein können so viele Details nicht ausreichend beschreiben.
6. Die drei Verbindungen
Die fünf Organe sind bereits geklärt, daher widmen wir uns den drei Verbindungen. Diese sogenannten drei Verbindungen sind: das Herz verbindet sich mit der Aufmerksamkeit, die Energie mit der Kraft, und die Sehnen mit den Knochen, das sind die drei inneren Verbindungen (内三合). Die Hände verbinden sich mit den Füßen, die Ellbogen mit den Knien und die Schultern mit der Hüfte, dieses sind die drei äußeren Verbindungen (外三合). Das bedeutet auch, die linke Hand mit dem rechten Fuß zu koordinieren, den linken Ellbogen mit dem rechten Knie, und die linke Schulter mit der rechten Hüftseite. Die drei Verbindungen rechts sind wie die links ebenso korrekt. Der Kopf verbindet sich mit der Hand, die Hand mit dem Körper, und der Körper mit dem Schritt, sind das nicht äußere Verbindungen? Wenn das Herz sich mit den Augen verbindet, die Leber mit den Sehnen, die Milz mit den Muskeln, und Lunge und Körper, und die Nieren mit den Knochen, sind das dann nicht innere Verbindungen? Diese einzelnen Verbindungen sind [steten] Veränderungen unterworfen. Kurz gesagt, wenn sich ein Teil bewegt, gibt es nichts, das sich nicht bewegt, wenn sich eins verbindet, gibt es kein Teil, das sich nicht verbindet, die fünf Organe und die hundert Knochen des Körpers sind alle eingeschlossen.
7. Das sechsfache Voranschreiten
Wenn wir die drei Verbindungen erfasst haben, müssen wir noch über das sechsfache Voranschreiten sprechen. Was ist denn dieses sechsfache Voranschreiten? Der Kopf gilt als Haupt der sechs Yang-Kanäle und wird als Herrscher des ganzen Körpers bezeichnet. Alle fünf Organe und hundert Knochen unterstützen diesen. Wenn also der Körper vorangeht, muss auch der Kopf voranschreiten.
Die Hände sind die Vorhut, aber die Füße sind ihre Wurzel. Wenn die Füße nicht vorangehen, können auch die Hände nicht voran. Es kann also nicht sein, dass die Füße nicht voranschreiten.
Die Energie sammelt sich in den Handgelenken [in manchen Textvarianten steht hier statt Handgelenk der phonetisch ähnliche zhong wan Akupunkturpunkt, der etwa zwischen dantian und danzhong lokalisiert werden kann, Anm. des Übersetzers], der Motor befindet sich in der Taille. Kommt die Taille nicht voran, bleibt die Energie ungesättigt und nicht substanziell. Daher ist ganz wichtig, mit der Taille voranzuschreiten.
Die Intention (yi) durchdringt den gesamten Körper, die Bewegung [des gesamten Körpers, Anm. d. Ü.] beginnt in den Schritten. Gehen die Schritte nicht voran, ist auch die Intention machtlos. Daher ist besonders wichtig, dass die Schritte voranschreiten.
Startet rechts, kommt links voran und startet links, kommt rechts voran. Zusammen gibt es also sechs [Arten des] Voranschreiten[s]. Man sollte sich sehr bemühen, das sechsfache Voranschreiten zu verstehen.
Kurz gesagt heißt das, es gibt kein Voranschreiten, wenn dem Körper insgesamt die Idee des gewandten Bewegens fehlt. Und man schreitet sodann voran, wenn der gesamte Körper geschlossen und ohne Zurückhaltung handelt. Das ist das Prinzip des sechsfachen Voranschreitens.
8. Die Körpermethode (shenfa)
Was man seine Hände aussendet (发) und den Feind angrifft, hängt alles von der Körpermethode ab. Doch was ist die Körpermethode? Es gibt: längsgerichtet (纵), horiztontal (横), hoch (高), tief (低), vorwärts gerichtet (进),rückläufig (退),umdrehend (反) und seitwärtsgerichtet (侧).
Längsgerichtet heißt, Kraft freizulassen und ohne Wiederkehr zu gehen.
Horizontal heißt, die Kraft [wie ein Paket] zu binden und aufzureißen, ohne dass es jemand verhindern könnte.
Hoch heißt, den Körper zu strecken, als ob man nach oben hin groß wird.
Tief heißt, den Körper zu ducken und ihm einen sammelnden und schließenden Anschein zu geben.
Vorwärts gerichtet heißt, ohne Unterlass mutig nach vorn zu schreiten.
Rückläufig heißt, sich zurück zu ziehen und seine Energie zu schonen, sich zu drehen und seine Kraft zu verbergen.
Sich umzudrehen bedeutet, sich nach hinten zu wenden, so dass hinten vorne ist.
Seitwärts gerichtet heißt, sich nach links und rechts zu wenden, so dass sich keiner traut, mich von den Seiten anzugreifen.
Dabei soll man sich nicht zu starr verhalten. Man analysiert die Stärken und Schwächen des Gegners, und entwirft dann das eigene Vorgehen. Mal längsgerichtet, mal horizontal, längs und horizontal wechseln sich ab, das kann man nicht allgemein vorschreiben. Mal hoch und mal tief, sie können jederzeit wechseln, wie könnte man das festlegen? Manchmal sollte es vorwärts sein, weil man durch rücktwärts den Mut verliert. Mal sollte es rücktwärts sein, damit man sich wieder vorbereiten kann, um dann erneut und besser nach vorne zu gehen. Daher hilft diese Art des Rückzugs eigentlich dem Vorwärtsgehen.
Wenn wir uns umdrehen und den hinteren Raum betrachten, dann ist es nicht mehr ein unbeachtetes Hinten. Wenn wir die linke und die rechte Seite berücksichtigen, dann werden uns links und rechts bewusst und sind damit nicht mehr bloß links und rechts [also unbeachtete Seiten, Anm. d. Ü.].
Zusammengefasst liegt die Gesamtsteuerung in dem Blick, das Verstehen und Entscheiden, um sich [der Situation] anzupassen, liegt im Herzen, und die Wurzel liegt im Körper. Geht der Körper vor, kommen die vier Gliedmaßen ungefragt mit. Geht der Körper zurück, kommen alle hundert Knochen des Körpers ungefragt mit zurück. Daher muss über die Körpermethode unbedingt geredet werden.
9. Die Schrittmethode (bufa)
Der gesamte Körper bewirkt die Bewegung, doch das Bewegen nutzt die Schritte. Der Schritt ist das Fundament des Körpers und der Drehpunkt der Körperbewegung. Um einen Kampf aufzunehmen, bedarf es der Grundlage des Körpers. Die Grundlage für den Körper ist der Schritt.
Um sich schnell an veränderte Bedingungen anzupassen, ist man auf die Hände angewiesen. Um die Hände flexibel bewegen zu können, bedarf es auch des Schrittes. Beim vor- und zurückschreiten und nach links und rechts wenden (进退反侧) ist man auf den Mechanismus von gudang angewiesen [ein Fachbegriff, der eine spezifische Art meint, den Körper über Expansionskraft zu bewegen; in der Textvariante von Chen Ziqiang findet sich hier der ähnliche Begriff 鼓动, der eher den allgemeineren Sinn von "aufgerüttelt, wachgerüttelt" trägt; Anm. d. Ü.]. Ob zügeln oder zerstreuen, ausdehnen und zusammenziehen, die Wechsel liegen in den Schritten. Der gesamte Steuerungsmechanismus liegt im Blick, das Wechseln liegt im Herzen sowie die Anpassung an die jeweilige Situation. Mit den Schritten erzeugt man ständige Veränderung, ohne selber in Schwierigkeit zu geraten. Man sollte sich bemühen, dieses zu beherrschen.
Bewegungen kommen der Un-Absicht (无心), die Inspiration aus dem Un-Bewusstsein (不觉), wenn man den Körper bewegen will, muss man ihn mit den Schritten winden. Wenn man die Hände bewegen will, muss man mit den Schritten worwärts pressen. Völlig unerwartet und ohne anzutreiben ist man schon da. Das bedeutet, wenn das Oben sich im Geringsten zu bewegen beginnt, dann folgt das Unten entsprechend. So ist es korrekt!
Man kann die Schritte in vordere und hintere Schritte einteilen. Man kann den Schritt nicht nur auf eine bestimmte Position setzen, sondern auch auf unbestimmte Positionen. Wenn der vordere Schritt nach vorne geht, folgt sogleich der hintere Schritt. Der vordere und hintere Schritt werden jeweils eine eigene Position gesetzt. Wenn der vordere Schritt als hinterer Schritt, der hintere Schritt als vorderer Schritt agieren, dann wechseln der vordere Schritt zum hinteren Schritt vor dem vorderen Schritt und der hintere Schritt zum vorderen Schritt vor dem hinteren Schritt. Alle Schritte haben natürlich keine festen Posistionen [sondern sind in steten Wechseln, Anm. d. Ü.].
Kurz gesagt: Wenn es um Boxen geht, wird von den Dynamiken (势) gesprochen, deren Schlüssel die Schritttechnik ist. Ob lebendig oder nicht lebendig, das liegt an den Schritten. Ob geschickt oder ungeschickt, das liegt ebenfalls an den Schritten. Daher ist die Schritttechnik sehr nützlich!
10. Hart und weich
Wenn es um die Anwendung der Boxkunst geht, gibt es nur Energie (气) und Dynamik (势). Es gibt eine starke und eine schwache Energie, und ebenso gibt es eine starke und eine schwache Dynamik. Wer eine starke Energie hat, hat auch eine harte Dynamik. Und wer eine schwache Energie hat, hat auch eine weiche Dynamik. Der Härtere kontrolliert mit 1000 Jun [ein jun entspricht ca. 18kg, Anm. d. Ü.] die 100 Jun. Der Weichere zerschlägt mit 100 Jun die 1000 Jun.
Kraft und Geschicklichkeit sind der Grund, warum man in hart und weich unterteilen kann. Wenn man sie schon unterscheiden kann, dann haben sie auch unterschiedlichen Gebrauch. Wenn sich die vier Gliedmaßen bewegen, geht die Energie nach außen und das Innere bewahrt die Ruhe. Das ist die harte Dynamik. Wenn die Energie sich im Inneren sammelt und das Äußere leicht und harmonisch erscheint, das ist die Dynamik des Weichen.
Das Harte kann nicht ohne das Weiche, ohne das Weiche ist man nicht wendig und schnell, aber man kann das Weichen nicht ohne das Harte anwenden, denn ohne das Harte kann man nicht erfolgreich nach vorne pressen. Wenn sich das Harte und das Weiche gegenseitig unterstützen, kann man auf natürliche Weise kleben (粘), durchstreifen (游), verketten (连),folgen (随),aufsteigen (腾),entgehen (闪),falten (折),leeren (空),expandieren (棚),wegnehmen (捋),pressen (挤) und drücken (捺) nutzen. Das Harte und Weiche dürfen nicht unausgeglichen genutzt werden. Diejenigen, die Kampfkunst ausüben, können dieses nicht ignorieren.
(Chen Changxing, S. 8-17; Übersetzung aus dem Chinesischen © CTND)
Literatur:
Chen Changxing in Chen Ziqiang (2008). Chen-Style Taiji Pole. Zhengzhou: Petrel Publishing House, Henan Electronic & Audiovisual Press.