Was versteht man unter Taijiquan als ‚innere Kampfkunst‘?
Taijiquan weist innere sowie äußere Aspekte auf. Eine harte Trennung zwischen „innerer“ und „äußerer“ Kampfkunst ist wenig hilfreich. Im Chen-Stil Taijiquan spricht man eher davon, Innen und Außen zu verbinden (内外合一). Jede Einseitigkeit gilt es zu vermeiden und somit auch eine reine Betonung von Innen oder eben nur von Außen. Chen-Stil Taijiquan hat einen äußeren Rahmen und eine äußere Form, die es zu erlernen gilt. Daran führt kein Weg vorbei. Dieser Rahmen steckt quasi den eigenen Bewegungsradius ab. Über äußere Verbindungen öffnen wir anschließend die Gelenke und entfalten das Bewegungspotenzial.
Chen Zhaokui verglich den Körper mit einem gefüllten Ballon, die äußere Form sollte hierbei stets voll sein. Dieser Ballon wird immer um das Körperzentrum gespannt, so dass der Körper nicht lehnt (不偏不倚), und dann vom Körperkern aus bewegt (以丹田为核心). Die Intention gilt hierbei als Lenker der Bewegung und gibt vor, welche „Ausdellungen“ der Ballon haben soll, in welche Richtung er quasi schiebt, presst, streicht, stößt, faltet und somit Druck ausübt. Auf diese Weise entstehen alle taiji-typischen Kräfte (劲), weswegen man im Chinesischen davon spricht, dass die Expansionskraft (棚劲) die Basis aller weiterführenden Kraftrichtungen ist. Da Expansionskraft ganzkörperlich erreicht wird, ist der Ballon innerlich verbunden und so kann man die daraus resultierende Kraft auch als „neijin“, als innere Kraft bezeichnen. Betrachtet man diesen Prozess etwas feiner, kann man von „neiqi“ sprechen, der inneren Energie, die dann auch mit dem Atem und kleineren Körperbewegungen korrespondiert. An diesem Prozess sind immer Muskeln, Sehnen, Knochen, Bindewebe und Nerven usw. beteiligt, die eben innere Prozesse organisieren. Teilaspekte dieser Bewegungsführung werden heutzutage durch Biotensegrity-Modelle u.ä. in der Wissenschaft beschrieben. Es gilt, wirklich auch Kräfte nach außen auszudrücken, insofern sollte man nicht zu esoterisch denken, sondern die chinesische Ausdrucksweise nach und nach verstehen lernen und dann damit arbeiten, ohne künstlich Dinge in sie hereinzudenken. Eine Trennung von innerer Energie und Körperarbeit oder von innerer und äußerer Kraft wäre dieser Logik nach bereits falsch.