Vollständiger Artikel veröffentlicht in Ausgabe 48 – 2/2012 des Taijiquan & Qigong Journals. Übersetzt und kommentiert von Nabil Ranné.
Gerade endet das 30. Todesjahr von Großmeister Chen Zhaokui (1928 – 1981). Chen Zhaokui gilt im Chen-Stil Taijiquan als »Mittler« zwischen Tradition und Moderne. Er lernte auf traditionelle Weise bei seinem Vater Chen Fake, der den Chen-Stil seinerzeit in Beijing bekannt machte. Chen Zhaokui interessierte sich für die klassischen Schriften, aber auch für moderne medizinische Erkenntnisse. Er hinterließ viele Notizen und Manuskripte, die dazu beitragen sollten, dem klassisch überlieferten Taijiquan zu einer Stellung auch in einer modernen (chinesischen) Gesellschaft zu verhelfen. Daher erkundete er den Gehalt der Überlieferungen, die teilweise sehr kurz und verschlüsselt sind, und strebte klare Erklärungen an, um allen Praktizierenden ein sinnvolles praktisches Training zu ermöglichen: »Theorie und Praxis müssen sich die Waage halten« (Chen Zhaokui und Chao Zhenmin, 2011, S 52). Er legte besonderen Wert auf den kämpferischen Nutzen der Bewegungen und vermittelte diesen Aspekt als einziger der nächsten Generation im Ursprungsort Chenjiagou.
Da er in einer politisch sehr turbulenten Zeit Chinas lebte, wurden die meisten seiner wertvollen Beiträge nicht mehr veröffentlicht. Einige seiner Schüler und Schüler seines Vaters sowie vorrangig sein Sohn Chen Yu bewahren seine Lehre und einige Originalschriften in Beijing auf, die einen echten Schatz an profundem klassischen Wissen, aber eben auch moderner Unterrichtsdidaktik aufweisen. Dieser Artikel soll helfen, den LeserInnen einen Einblick in das Wirken Chen Zhaokuis und generell in die chinesische Originallehre mithilfe einiger erstmaliger Übersetzungen zu vermitteln.
Die gemeinsame Theorie aller Taiji-Stile und wichtige Übungsaspekte
(Notizen Chen Zhaokuis, 10.6.1961, vorzufinden in Chen Yu, 2011, S. 76)
1. Das Herz ist ruhig, der Körper aufrecht – nutze die Intention zum Bewegen.
2. Die Bewegungen sind harmonisch – agil, rund und lebendig.
3. Öffnen und Schließen, Leere und Substanz – atme auf natürliche Weise.
4. Der Nacken leer und Scheitelkraft – das Qi sinkt ins Dantian.
5. Der Punkt Weilü ist gerade (das Steißbein ist aufgerichtet) – nicht in eine Richtung lehnen und sich nicht neigen.
6. Die Brust einbehalten und den Rücken runden – Schultern senken und Ellbogen hängen lassen.
7. Die Kraft entsteht in den Fußwurzeln (Fersen) – die Kontrolle ist in der Taille.
8. Durch den Rücken hindurch – die Form zeigt sich in den Fingerspitzen.
9. Oben und Unten kommen zusammen – Innen und Außen verbinden sich.
10. Wenn sich ein Teil bewegt, bewegt sich alles – wenn ein Teil ruhig ist, ist alles ruhig.
11. Jedes Glied wie von einer Kette verbunden – der ganze Körper bewegt sich als eins.
12. Ständig verbindend – ständig fließend.
13. Speichern und loslassen wechseln sich ab – hart und weich helfen sich gegenseitig.
14. Hart und weich verschwinden ganz – man erreicht einen Zustand höchster Perfektion.
Diese Aufzählung umfasst die Gemeinsamkeiten aller Taiji-Stile. Spezifische Inhalte, wie zum Beispiel die für den Chen-Stil typische Spiralkraft oder das Falten von Brust und Taille tauchen hier nicht auf (vgl. dazu Ranné, 2011). Ähnlich wie bereits Yang Chengfu bei seinen zehn Prinzipien des Taijiquan bezieht sich Chen Zhaokui auf klassische Taijiquan-Texte.
Vom Aufbau her besteht jede Zeile im Chinesischen aus acht Zeichen, gegliedert in je zwei Teile. Diese beiden Teile weisen hierbei einen inhaltlichen Zusammenhang auf, aber nicht unbedingt kausaler Art.
[Ende des Auszugs]
Literatur:
Chen Yu: »Taiji Rensheng«, Mingjia Shuhua Chubanshe 2011
Chen Yu: »Rumen Taolu Ershiba Shi«, Zhongguo Chen Zhaokui Taijiquan She 2007
Chen Zhaokui: »Manuskript zu den Schiebenden Händen«, (o. J.) erhältlich: Chen Yu Taiji Wang (cytjw.cn)
Chen Zhaokui: »Jiaoxue Zongjie«, (1964) in: Chen Yu: »Taiji Rensheng« (S. 53f.)
Chen Zhaokui und Chao Zhenmin: »Chenshi Taijiquan Duanlian Jingyan Tan«, (2011) in: Chen Yu: Taiji Rensheng (S. 55-76)
Gu Liuxin: »Paochui: Chenshi Taijiquan Di Erlu«, (reprint) Renmin Tiyu Chubanshe 2005
Ma Hong: »Yidai Zongshi Chen Zhaokui De Zhongda Gongxian« (o. J.)
Ma Hong: »Chen Taijiquan, Quan Fa, Quan Li«, Beijing Tiyu Daxue Chubanshe 1998
Nabil Ranné: »Die Wiege des Taijiquan«, Logos 2011
Shen Jiazhen und Gu Liuxin: »Chenshi Taijiquan«, Renmin Tiyu Chubanshe 1994
Wu Yuxiang: »Shisan shi xinggong xin jue« (2004), in: Davis: The Taijiquan Classics, North Atlantic Books (S. 164-170)
Yu Dayou: »Jian Jing« (16. Jh.), neu herausgegeben und ins Englische übersetzt von Chen Jiayi, Chineselongsword 2011
Zhang Qilin: »Erinnerungen an das Boxtraining mit Meister Chen Zhaokui« (2008), erhältlich: Chen Yu Taiji Wang (cytjw.cn)
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