Der Artikel erörtert einige chinesische Begrifflichkeiten und versucht, ihren Gehalt für das tagtägliche Training deutlich zu machen. Es geht vor allem darum, wie man Fertigkeit (gongfu) aufbaut und welche Rolle Prinzipien, Anforderungen und Methoden dabei spielen.
Häufig wird im Deutschen von den "Taiji-Prinzipien" gesprochen. Das wollte ich gerne zum Anlass nehmen, etwas genauer auf einige Begrifflichkeiten einzugehen. Denn die chinesischen Konzepte beschreiben sehr gut die Didaktik des Taijiquan. Häufig herrscht das Vorurteil, chinesische Lehrer zeigen nur und westliche erklären dann, wie das Ganze funktioniert. Dieses entspricht überhaupt nicht meiner persönlichen Erfahrung, da mein Lehrer sehr viel erklärt und es ihm immer wichtig war, dass seine Schülerschaft die Praxis wirklich versteht.
Ganz im Gegenteil finde ich es spannend, zu beobachten, wie sehr die westliche Rezeption das Taijiquan häufig verändert hat. Und zwar meist, ohne dass es jemand bemerkt. Das muss an sich nicht schlimm sein, aber bewusste und unbewusste Veränderungen sind natürlich voneinander zu unterscheiden, also ob man etwas bewusst klarer formuliert, oder ob man bestimmte Aspekte aus Versehen überbetont (z.B. wird die 'Entspannung' fangsong 放松 oft ohne korrekten Bezug zu anderen relevanten Elementen betrachtet), oder ob bestimmte Übersetzungen andere Ideen vermitteln (z.B. vermittelt der deutsche Begriff 'Struktur' meist ein zu statisches Konzept, ähnlich wie der englische Begriff 'Core' meist zu einem völlig anderen Umgang mit dem Körperkern führt als der Begriff des 'Dantian'). Solche konzeptionellen Veränderungen verändern natürlich auch die Ausübung des Taijiquan nachhaltig. Wem solche konzeptionellen Diskussionen zu langweilig sind, sollte einfach nicht weiter lesen!
Anforderungen und Prinzipien
Im Chinesischen und auch in unserer Linie sprechen wir anstatt von Prinzipien häufig eher von Methoden. Das stößt dann teils auf etwas Unverständnis, wenn diese Konzepte miteinander in Austausch treten. Hier kommt der Versuch, aus dem Chinesischen heraus mal etwas Licht ins Dunkel zu bringen.
Das, was hierzulande häufig Prinzipien genannt wird (nach Chen Changxing, Yang Chengfu, nach Chen Zhaokui, Chen Yu, Chen Xiaowang etc.) nennt man im Chinesischen meistens yaoling 要领, in etwa Kernpunkte. Das trifft es meines Erachtens auch ganz gut, es sind wesentliche Grundanforderungen an Körper-Haltung und -Struktur, um einen Prozess in Gang zu setzen.
Direkt von Prinzipien spricht man im Chinesischen meist nur sehr abstrakt, dann z.B. sagt man 原理 yuanli und meint Yin-Yang in der Bewegung und solche sehr übergeordneten Dinge. Das geht dann häufig schon ins Philosophische mit Anbindung an Konfuzianismus, Daoismus, Buddhismus und anderen Geistesströmungen. Die bekannten Kämpfer der unterschiedlichen Familien waren häufig Analphabeten. Die Methoden ihrer Praxis haben sie aber zu herausragenden Meistern werden lassen. Worauf das hindeuten soll: Der philosophische Teil ist daher nicht uninteressant, aber nicht ausreichend für eine gute Ausübung des Taijiquan.
Fertigkeit und Methode
Man spricht auch häufig von gongfa 功法, dabei meint gong Fertigkeit (oder auch die innere Substanz einer Übung) und fa ist die Methode. Gong ist das gongfu, die Fertigkeit, die letzten Endes die konkrete Praxis transzendieren und auf das gesamte Wesen abstrahlen soll, da sie umfänglich und tief ist. Der Begriff gongfa weist auch auf das Wechselspiel von Fertigkeit und Methodik hin, denn Fertigkeit kann man nur über Methodik erreichen.
Ein Beispiel (1): Wenn ein herausragender Töpfer über jahrelange Praxis Gewissenhaftigkeit, Genauigkeit, das Weilen im Moment, im Jetzt, Hingabe, Disziplin, Geschmeidigkeit, Kraft, Ausdauer, Liebe und vieles mehr erlernt hat, dann ist dieses gongfu, die Fertigkeit, erreicht. Es gab aber keine Abkürzung dahin, ohne das Handwerk hätte er diese Qualitäten nicht erreichen können. Das ist das fa, die Methode, in Abhängigkeit zum gong.
Methode meint aber nicht nur bloße (Kampf-) Techniken. Es gibt viele Methoden im Taijiquan. Sie drücken das Wie einer Bewegung aus. In authentischen Linien ist dieses Wie immer enthalten. Teils wird es als Geheimnis gewahrt, weswegen es auch oft vergessen wurde in den nachfolgenden Generationen. Es sei, denn sie haben ein neues Wie dazu getan. Dann entstehen Unterschiede im Wie, die aber häufig, wenn auch nicht immer, zu vernachlässigen sind. Denn notwendig ist, dass es überhaupt ein Wie gibt, an dem man arbeiten kann.
Ein weiteres Beispiel (2): Stehende Säulen (zhan zhuang) gibt es in sehr vielen chinesischen Kampfkünsten und im Qigong. Wenn man das mal im Park gesehen hat, hat man das "Was" schnell erlernt, da die Position ja sehr einfach ist. Die Qualitäten des Sinkens, Aufrichtens, der Atmung, der "Kräfte" in der Säule, der Intention usw. sind dann das Wie, die Methodik, um die Position mit Inhalt zu füllen. Ohne diese kann man ewig stehen und ob Fertigkeit oder nicht entsteht, bleibt dem Zufall überlassen.
Viele Methoden und Details
Methoden teilen sich jetzt in viele Aspekte. Es gibt nicht nur diverse Anwendungsmethoden, sondern auch Hand-, Fuß-, Schritt-, Blick-, Atemmethoden und vieles mehr. Diese sind sehr konkret gemeint, also, wie wird die Hand genau genutzt, welche Formen und Intentionen drückt sie aus, wo im Körper ist Peng-Kraft, wie verbindet sie sich mit der Spiralkraft, wo ist beispielsweise das Bein voll, wo sollte es leer sein, um Gelenke zu schonen, was macht der Fuß, wie "energetisiert" man eigentlich Körperteile, welche Akupunkturpunkte nutzt man und wie aktiviert man sie neurologisch und vieles mehr.
(Anbei ein kleines Beispiel, wie Chen Xin die Methoden in die Darstellung eines Formbildes eingewoben hat. Es ist bloß eine bruchstückhaften Übersetzung hier. Chen Xin hat die Position viel ausführlicher beschrieben, als wir hier aufgrund des mangelnden Platzes zeigen können. Normalerweise verstehe man solche Anweisungen auch nicht oder nur zu oberflächlich, wenn man nicht in der Linie trainiert. Sie sind eher als Erinnerungshilfen für Kenner denn als Lernhilfen für Neulinge gedacht.)
An dieser Stelle ist die Abstammungslinie natürlich wichtig, denn es gibt hier immer auch Unterschiede zwischen den Linien. (Also nicht, wie häufig gedacht, negativ im Sinne von Abwertung der anderen Linien, sondern auch positiv im Sinne von Besonderheit in der genauen Ausübung und Vertiefung.) Wie schon gesagt, Unterschiede zwischen Linien sind nicht problematisch, wenn es Inhalte gibt. Nur ohne irgendwelche Inhalte wird es schwierig, das gong, die Fertigkeit, zu erreichen.
Ein weiterer Begriff, der etwas seltener benutzt wird, ist guilü 规律, in etwa Regelmäßigkeit oder Gesetz. Damit ist ein übergeordnetes Bewegungsprinzip gemeint, das meist etwas abstrakter ist als die Methoden selbst, aber konkreter als die philosophischen Prinzipien.
Stellen wir das Ganze nochmal an einem Beispiel (3) dar:
Ein Prinzip ist sehr abstrakt, wie "in der Bewegung teilen sich Yin und Yang, in der Ruhe kommen sie zusammen". Eine Regel drückt übergeordnete Aspekte aus, wie "Dantian ist der Kern jeder Bewegung". Mit Prinzipien und Regeln kann man aber noch kein gutes Taijiquan machen. Denn "Dantian" gibt es nicht einfach so, man benötigt die Anforderungen, um es überhaupt freizulegen und zu verbinden, wie durch die Anforderungen "den Schrittbereich runden", "den Bauch schließen", "die Füße greifen", "der Körper ist entspannt", "der Nacken ist leer und hat Scheitelkraft" etc. pp. Die Methoden sind dann Weiterführungen der Anforderungen, bringen den ganzen Körper in Bewegung und stellen ein integrierte Ganzkörperkraft her, die intentionale Aspekte, Atmung und die Taiji-Kräfte miteinander in Einklang bringt. Und sie schaffen die körperlichen Voraussetzungen durch das Öffnen der Gelenke und vieles mehr, um sich überhaupt so bewegen zu können.
Je nach Trainingsstand und Motivation kann man durchaus mal das eine, mal das andere betonen. Das ist meist auch einer der Gründe, warum praktisch alle Meister in jungen Jahren fast immer ihre Formen anders laufen als in späteren. Am Anfang geht es viel um einzelne Methoden, die später immer stärker ineinander integriert werden. Hat man viel an Methoden und Feinheiten gearbeitet, werden sie "natürlich". Im hohen Alter kann man sich dann nach und nach auf das große Ganze konzentrieren, denn die Methoden sind im Körper ja bereits zu einem gewissen Grad umgesetzt.
Zusammenfassung
Gong wird also zu gongfu, aber das fa, die Methodik, schafft die Voraussetzungen dafür, denn man kann gong nicht direkt trainieren, die Methoden aber schon. Um die Methoden korrekt anzuwenden, bedarf es der Anforderungen. Tendenziell könnte man sagen, dass Anforderungen eher die Statik beschreiben, und Methoden die Dynamik. Das ist aber nur tendenziell und nicht strikt zu verstehen. Die Prinzipien thronen über allem und geben eine Richtung vor, sind aber meist so abstrakt, dass sie zu ungenau für das konkrete Training sind.
Vielleicht helfen euch diese Gedanken etwas, das eigene Training zu reflektieren und zu strukturieren. Die Wortwahl kann natürlich je nach Linie und persönlichem Geschmack der Lehrer etwas variieren.