Über Chen Zhaopi (1893-1972) wird relativ wenig berichtet, obwohl auf ihn die am häufigsten praktizierte Variante des Mainstream-Chen-Stils zurückzuführen ist, die heute meist der "alte Rahmen" genannt wird. Er selbst lernte zunächst bei seinem Vater Chen Dengke (17. Generation), später bei Chen Yanxi (16. Generation) und dann dessen Sohn Chen Fake (17. Generation). Im Folgenden wollen wir auf seine Person und seine Überlieferung eingehen.
Über Chen Zhaopi (1893-1972, chin. 陈照丕, auch Jifu, chin. 陈绩甫) wird relativ wenig berichtet, obwohl auf ihn die am häufigsten praktizierte Variante des Mainstream-Chen-Stils zurückzuführen ist, die heute meist der "alte Rahmen" genannt wird. Er selbst lernte zunächst bei seinem Vater Chen Dengke (17. Generation), später bei Chen Yanxi (16. Generation) und dann dessen Sohn Chen Fake (17. Generation). Es erscheint etwas verwunderlich, dass sein Lehrer Chen Fake häufig mit dem sogenannten "neuen Rahmen" (chin. xinjia) in Verbindung gebracht wird, Chen Zhaopi aber mit dem sogenannten "alten Rahmen" (chin. laojia). Von der Linie her wäre es ja genau andersherum logisch. Zudem lernte er angeblich sogar von Chen Xin, einem bekannten Vertreter des "kleinen Rahmens". Im Folgenden möchte ich darauf etwas eingehen.
Kurze Geschichte des Chen-Stil Taijiquan
Chen Zhaopi gilt in Chenjiagou, dem Heimatdorf des Chen-Stils, als das Bindeglied zwischen der alten Taijiquan-Praxis und der Moderne. Die meisten der heute bekannten Vertreter aus dem Dorf lernten bei ihm: Chen Xiaowang, Chen Zhenglei, Wang Xian, Zhu Tiancai und andere. Das liegt vor allem an den Bürgerkriegsjahren in China, in denen viele Lehrer das Dorf verließen. Siehe hierzu den gut recherchierten Artikel von Ying Hua Fang (2016). Viele Lehrer des "kleinen Rahmens" (chin. xiaojia) gingen nach Xi'an. Der bekannteste Vertreter des "großen Rahmens" Chen Fake ging nach Peking, wo vornehmlich sein jüngster Sohn Chen Zhaokui sein Gongfu weitergab. Der ältere Sohn Chen Zhaoxu kehrte nach Chenjiagou zurück und konnte seine erste Form zwar noch seinem ältesten Sohn Chen Yonghe unterrichten. Der verließ aber das Dorf und übte kein Taijiquan und spielt so für die Traditionslinie des Taijiquan keine Rolle. Chen Zhaoxus zweiter Sohn Chen Xiaowang hat von der Kunst seines Vaters leider nur noch einen groben visuellen Eindruck, war aber zu jung, um von ihm zu lernen. Sein dritter Sohn Chen Xiaoxing lernte vornehmlich bei seinem Bruder Chen Xiaowang. Ihr Vater Chen Zhaoxu ging bereits 1955 ins Gefängnis und verstarb 1960. So konnte er niemanden unterrichten und wir wissen nicht, wie sein Gongfu aussah.
Der sogenannte "alte Rahmen" (laojia) des Chen-Stils
Der Teil der Traditionslinie des "großen Rahmens" (chin. dajia), der im Dorf "alt" genannt wird, geht daher hauptsächlich auf einen Vertreter zurück, nämlich Chen Zhaopi. Ein Blick in sein Buch von 1935, das Chenshi Taijiquan Huizong, reicht, um zu sehen, dass die Form, die er in den Dreißigerjahren auf den Fotos demonstriert, nicht ohne Veränderungen geblieben ist, wenn man sie mit Vorführungen der Form von Chen Zhaopi vergleicht, die heutige Vertreter aus dem Dorf zeigen. Wahrscheinlich mischten sie auch Einflüsse Chen Zhaopis mit Einflüssen ihres späteren Lehrers Chen Zhaokui. Aber Chen Zhaopis Form selbst hatte sich ja bereits aus den Einflüssen mehrerer Lehrer und wahrscheinlich sogar Linien ergeben, was inhaltlich nicht problematisch sein muss, sondern nur die Frage aufwirft, was an seinem Rahmen "alt" sei, wenn "alt" auch "unverändert" bedeuten soll. (Wenn "alt" eher "authentisch" meint, dann sind sicherlich all diese Formen als authentisch zu bezeichnen, die 75er und 83er des "großen Rahmens" genauso wie die des "kleinen Rahmens".) Interessant ist hier auch ein Vergleich mit einem Schüler Chen Zhaopis, der nicht von Chen Zhaokui lernte (s.u.), oder mit anderen Versionen aus dem Dorf (wie z.B. Chen Quanzhong, s.u.). Man kann aus diesem Sammelsurium an Quellen ganz gut ablesen, welche Veränderungen die Formen Chen Zhaopis erfuhren und dass sie zusätzlich zu Veränderungen der äußeren Bewegungen auch einige konzeptionelle Veränderungen erfuhren. Chen Zhaopis Formen werden heute vornehmlich als Formen für Anfänger unterrichtet, so dass sie für den heutigen Unterricht wohl weiter vereinfacht wurden.
Chen Zhaopis Vermächtnis
Chen Zhaopis Verdienst ist es vornehmlich, das Taijiquan vor dem Aussterben in Chenjiagou trotz widriger Umstände und unter hohen persönlichen Kosten zu bewahren. Man kann nirgendwo lesen oder hören, dass er selbst berichtet hätte, eine besonders alte Form zu unterrichten. Diese Idee kam erst nach seinem Tod 1972 auf. In den Folgejahren kam Chen Zhaokui, der Sohn Chen Fakes, der dessen Gongfu am vollständigsten weitergab, insgesamt drei Mal nach Chenjiagou. Da man seine Methodik dort nicht kannte, sondern nur das, was Chen Zhaopi in hohem Alter vermitteln konnte, meinte man, diese Methode nach Chen Zhaokui und Chen Fake müsse neu sein. Obwohl Chen Zhaokui so selten in Chenjiagou war, berichtet Chen Xiaowang, ein populärer Vertreter aus dem Dorf, dass er sich in dieser Zeit für sein eigenes Training auf genau dessen Formen konzentrierte, weil diese mehr Inhalte aufwiesen und für das Gongfu besser seien. Im Dorf begann man fortan, den "großen Rahmen" in zwei Rahmen zu unterteilen, einen "alten" und einen "neuen". Diese Unterteilung in zwei Rahmen ist aber das eigentlich Neue, also die Erweiterung der zwei Handformen auf vier Handformen. Nicht die Rahmen selbst sind neu oder alt.
Bereits mit 21 Jahren verließ Chen Zhaopi seine Heimat. 1928 ging er nach Nanjing, um dort an einem Kampfkunstinstitut zu unterrichten. Er veröffentlichte mehrere Bücher zum Chen-Stil, in denen er sehr freizügig auf Chen Xins "bebilderte Erläuterungen zum Chen-Stil Taijiquan" zurückgriff. 1937 wurde Nanjing von japanischen Truppen eingenommen, so dass Chen Zhaopi 1938 in seine Heimat zurückkehrte (die genauen Daten variieren je nach Quelle etwas). 1958 ging er in den Ruhestand und kehrte nach Wenxian und Chenjiagou zurück, um dort zu unterrichten. In den Jahren der Kulturrevolution hatte er mit politischen Problemen zu kämpfen. 1966 unternahm er sogar einen Selbstmordversuch und sprang in einen Brunnen. Er überlebte aber mit einer schweren Beinverletzung und konnte sich nur sehr eingeschränkt bewegen. Er verstarb am 30. Dezember 1972 und Chenjiagou verlor einen sehr umtriebigen und begeisterten Lehrer, der keine persönlichen Kosten und Mühen scheute, um das Chen-Stil Taijiquan zu erhalten.
Einige Bilder von Chen Zhaopi (1935)
Chen Qingzhou
Hier ein Video eines Schülers von Chen Zhaopi, der nicht - wie die meisten anderen bekannten Vertreter aus dem Dorf - bei Chen Zhaokui gelernt hat:
Chen Quanzhong
Hier ein Video von Chen Quanzhong, geb. 1925, der nicht von Chen Zhaopi oder Chen Zhaokui lernte und so einen anderen Strang in der Traditionslinie des Chen-Stils repräsentiert:
Bibliographie
Chen Jifu (1935). 陈氏太极拳汇宗 (reprint von 1988). Chengdu: Xinhua shudian.
Chen Kesen. 我的父亲陈照丕. Erhältlich: http://www.taiji.net.cn/article-3319-1.html
Chen Kesen. My Father, Chen Zhao Pei. Erhältlich: http://www.taiji-bg.com/articles/taijiquan/t48.htm
Stubenbaum, D. & Pion, M. (2005). Chen Peishan - der kleine Rahmen Xiaojia im Chen Stil Taijiquan. Erhältlich: http://www.die-pagode.de/de/shop/64-wissen-artikel/artikel-zum-thema-taijiquan/105-chen-peishan-xiaojia-der-kleine-rahmen-im-chen-stil-taijiquan
Ying, Hua Fang (2016). Chen Taijiquan Survival in Chen Village Through the Difficult Years. Erhältlich: http://molingtaiji.com/chen-taijiquan-survival-in-chen-village-through-the-difficult-years/