Was ist Taijiquan (Tai-Chi)?
Taijiquan ist die wohl bekannteste und am weitesten verbreitete chinesische Kampfkunst. Sie verbindet die drei Aspekte Selbstverteidigung, Gesundheitsübung und meditative Geistesschulung in einem ganzheitlichen System. Alle Übungen beinhalten sowohl achtsam geführte und kraftvolle, fließende Bewegungen sowie kämpferische Anwendungen. Taijiquan setzt sich aus zahlreichen kleinen Ideen und Methoden zu einem integrierten Ganzen zusammen und schafft so eine komplexe Balance, in der jeder einzelne Schritt logisch und praktisch nachvollziehbar ist.
"Taijiquan ist eine Kultivierungspraxis des 'alten China', die von Generation an Generation überliefert wurde. Es ist wie ein Geschenk, das alleine und in Einsamkeit, zusammen mit anderen und in Freundschaft, im Sitzen oder in Bewegung praktiziert werden kann. Dabei verfeinert Taiji die kämpferischen Fähigkeiten, die Selbstbehauptung, und begleitet den Praktizierenden fortwährend auf dem Lebensweg."
Wörtlich übersetzt bedeutet Tàijí (chin. 太极) „der Dachfirst“ oder „der (äußerste) Pol“. Bildhaft gesprochen bezeichnet es im Chinesischen „das äußerste Prinzip“ und meint die Komplementarität der entgegengesetzten Zustände von Yin und Yang, die aus einem ungetrennten Ganzen, dem Wújí entstehen. Der Kampfkunstaspekt des Taijiquan wird in dem Zusatz Quán (chin. 拳) ausgedrückt. Dieses steht für die zusammengerollte Hand, die „Faust“. Zusammengenommen kann Taijiquan also in etwa als „Faustmethode des allerhöchsten (polaren) Prinzips“ übersetzt werden. Man sollte sich von dem Namen nicht abschrecken lassen, da er im Chinesischen eine Art universales Grundprinzip erklärt und recht alltäglich sein kann.
Wie bewegt man sich im Taijiquan (Tai-Chi)?
Taijiquan wird hauptsächlich über die beiden Handformen erlernt, die sogenannte "erste Straße (Form) des Chen-Stil Taijiquan" und die "zweite Straße (Form) des Chen-Stil Taijiquan". Der Name unserer Kampfkunst betont den dynamischen Fluss von einer Technik zur nächsten. Die Bewegungen finden stets ausgeglichen um ein (Körper-) Zentrum statt.
Der Körper wird im Taijiquan zunächst entspannt und ausgebreitet, weswegen es häufig sehr verkürzt als bloße Entspannungstechnik gedeutet wird. Dabei geht es aber eigentlich darum, eine Kraft zu entwickeln, die vornehmlich auf Expansion beruht, einem Ballon gleich, und die daher beweglich bleibt. Diese Schritte von Entspannung, Mobilität, Elastizität und Explosivität (松活弹抖) können als grundsätzliche Qualitäten, aber auch als aufeinander aufbauende Lernstufen angesehen werden. Der Körper wird über bestimmte Zusammenschlüsse koordiniert, um diese Expansionskraft aufzubauen. Quasi einem Netz gleich, das man um ein stabiles Gerüst ("die drei äußeren Zusammenschlüsse", chin. 外三合) herum knüpft. Anschließend wird der in alle Richtungen ausgebreitete Körper in Spiralen bewegt, was vor allem in den Extremitäten sichtbar wird. Das nennen wir Spiralkraft oder bildhafter die "Kraft der Seidenraupe" oder den "Drachenkörper", da die einzelnen Körperglieder (dem mythologischen Drachen gleich) die Kraft von einem zum jeweils nächsten übertragen und so den gesamten Körper durchbewegen.
Man könnte auch sagen, dass man beim Training des Taijiquan zunächst den eigenen Körper immer mehr unterteilen lernt, diese Körperteile dann wieder koordiniert und damit eine neue körperlich-mentale Einheit schafft. Insgesamt wird durch das Training das Bewusstsein kultiviert, das Gewebe ganzheitlich aktiviert, die Körperteile sind in Bezug zueinander, die Atmung ist ruhig und koordiniert, während der Körper insgesamt angenehm pulsiert. Auf Chinesisch drückt man es aus als "nutze das Herz, um das Qi zu bewegen" (以心行气) und "nutze das Qi, um den Körper zu bewegen" (以气运身). Was mit "Qi" gemeint ist, erfährt man über das Training. Es entsteht bei kontinuierlichem Training ein Taiji-Körper, der elastische, entspannte und verbundene Kraft auszudrücken vermag.
Wie lernt man Taijiquan?
Der chinesische Begriff des Übens (修炼), der häufig mit dem Taijiquan in Verbindung gebracht wird, bezeichnet die vertiefte Praxis einer Kunst. Er wird daher oft auf daoistische oder buddhistische Praktiken bezogen. An dieser Stelle möchten wir betonen, dass der Begriff nicht die Idee eines reinen körperlichen Trainings wie dem Aufbau von Muskulatur oder ähnlichem verkörpert und auch keine bloße religiöse Versenkungspraxis meint. Vielmehr versucht man, den Kultivierungsprozess eines tiefgreifenden körperlich-geistigen Weges zu beschreiben, der Verstehens-, Gefühls- und Fertigkeits-Ebenen miteinander vereint. Auf diesem Wege werden nicht bloß Techniken erlernt, es wird also nicht bloß Wissen akkumuliert. Vielmehr werden Inhalte (bspw. A, B, C, D) eingeführt und auf jeder Lernstufe in einen komplexeren Zusammenhang mit anderen Inhalten gebracht und so vertieft. Schließlich führt aber die Vertiefung (Qualität) und nicht die reine Anhäufung von mehr Inhalten (Quantität) zu Lernerfolgen. Man hakt die Inhalte nicht ab, sondern baut sie in einem quasi-rituellen Übungsprozess aus. Die erarbeiteten Qualitäten transzendieren schlussendlich die einstudierte Fertigkeit und strahlen auf andere Tätigkeiten und das Sein des Übenden ab. Die Spirale kann hier als Sinnbild des Lernprozesses stehen.
Was macht euer Taijiquan besonders?
Wir üben Chen-Stil Taijiquan nach der Überlieferung durch Chen Fake (陈发科), Chen Zhaokui (陈照奎) und Chen Yu (陈瑜): Eine moderne, präzise und kraftvolle Kampfkunst in authentischer, chinesischer Tradition. Unser System fußt auf drei Säulen: Einer ausgefeilten, hochfunktionalen Körperarbeit; einer Trainingsatmosphäre auf Augenhöhe; und den ursprünglichen Kampfanwendungen, die das Taijiquan so berühmt gemacht haben.
Die Körperarbeit in unserem Taijiquan kann und darf durchaus anstrengend sein. Die Methode lässt sich als eine Art von bewegtem Stabilisationstraining beschreiben, mit dem Ziel, einen „dynamischen Core“ (Dantian) zu entwickeln. Kombiniert mit mentalem Training bauen wir kontrollierte Kraft (劲) für Partnerarbeit und Kampfanwendung auf, entwickeln gleichzeitig aber auch unsere Körperverfassung und Gesundheit nachhaltig positiv.
Der Umgang innerhalb des CTND ist kollegial und wertschätzend. Soziale Machtspielchen und psychologischen Druck unter dem Deckmantel der Spiritualität lehnen wir ab. Ebenso schätzen und fördern wir eigenständiges, reflektiertes Training statt militärischem Drill und bloßer Imitation.
Die Kombination aus Körperarbeit und Trainingskultur bilden die Basis für kämpferisches Gongfu. Gemeint sind damit solide, körperliche und geistige Kampfkunst-Fertigkeiten, die wir uns durch konsequentes Üben aneignen. Je nach persönlichem Interesse und Ambition bieten wir hinreichend Gelegenheit, das eigene Gongfu durch verschiedene Formen und Stufen der Partnerarbeit weiterzuentwickeln: Von eher kooperativen Übungen im Kontakt (Tuishou oder „Schiebende Hände“) über Schlagroutinen (Dashou oder „Schlagende Hände“) bis hin zu Sparring-Drills und Freikampf (Sanshou oder „Freie Hände“).
In unserem Taijiquan gehen die Methoden der traditionellen chinesischen Kampfkunst, ihrer exakten Körpermechanik, mit den Konzepten aus der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) sowie mit der in dieser Kunst verankerten Bewusstseinsarbeit (shen qi yi li) Hand in Hand.
Die Familien-Stile im Taijiquan
Heutzutage ist das Taijiquan in verschiedene Stile gegliedert. Diese werden häufig nach ihren jeweiligen Gründern benannt. Die meisten Bewegungs-Formen, die noch praktiziert werden, können auf den Boxstil des Chen-Clans zurückgeführt werden, der Mitte des 17. Jahrhunderts aus wiederum sehr viel älteren Wurzeln enstanden ist und innerhalb von unterschiedlichen Familienlinien innerhalb desselben Clans weitergegeben wurde.
Aus diesem bzw. seinem nahen Umfeld sind die Stile der Familien Yang, Wu, Wú und Sun hervorgegangen. Innerhalb der Familie Chen wurde die Kampfkunsttradition seit Gründung des Ursprungsortes Chenjiagou stets sehr gewissenhaft bis zum heutigen Tage gepflegt, so dass viele namhafte Lehrer des Chen-Stil Taijiquan noch immer innerhalb derselben Abstammungslinien vorzufinden sind. Die Abstammunglinien haben teils unterschiedliche Charakteristika ausgeprägt und werden unterschiedlich benannt, sind aber allesamt miteinander verwandt. Berühmt wurde das Taijiquan vor allem durch Chen Changxing, dessen Schüler Yang Luchan nicht aus der Familie Chen stammte und dessen Nachkommen später einen eigenen Stil, den Yang-Stil, begründeten. Aus diesem gingen ebenfalls viele berühmte Meister hervor.
Chen Changxings Ur-Enkel Chen Fake wiederum machte den Boxstil des Chen-Clans außerhalb der Provinz Henan bekannt, da er nach Beijing (Peking) ging und sich einen exzellenten Ruf als aufrichtiger und ehrenwerter Kämpfer erarbeitete. Bis zu seinem Erscheinen in Peking hatte man vom Chen-Stil Taijiquan nur gehört, es dort aber noch nie gesehen. Chen Fake hatte viele Schüler mit großen Fertigkeiten. Chen Fakes Sohn Chen Zhaokui unterrichtete ab den sechziger Jahren die Methodik seines Vaters und wurde ebenso wie später sein eigener Sohn Chen Yu namenhafter Experte und herausragender Repräsentant dieser einzigartigen Kungfu-Tradition. Das Chen-Stil Taijiquan Netzwerk Deutschland (CTND) steht in der direkten Nachfolge dieser ältesten Taijiquan-Tradition Chinas.
Video einer Chen-Stil Taijiquan (Tai-Chi) Form von Chen Yu
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